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Aktive Verbände und Bürgerinitiativen Hamburg

Streitthema: Nachhaltige Stadtplanung

Ein Gebiet, zwei Positionen

Da habe ich in ein Wespennest gestochen, als ich Anfang des Jahres bei der BI „Nein zu Oberbillwerder“ in Hamburg um eine Beschreibung des Projekts und ihrem Einsatz bat. Zurück kam erstmal ein wenig freundliche Mail, die meine Fragen dennoch beantwortet hat.

Weil die BI die Grünen als einzige Partei der Hamburger Stadtregierung scharf kritisierte, habe ich diesen die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Und die Antwort ist wie so oft beim Thema Flächenverbrauch: Kompliziert und zu kurz.

Ich kann die Bürde der Abwägung zwischen Sozial- und Umweltpolitik, Koalitionspartner- und eigenen Wünschen gut nachvollziehen. Dass Bürgerinitiativen einem das Leben, manchmal auch ungerechtfertigt, schwer machen, weiß ich. Manchmal auch keinerlei Gespräch möglich ist, ebenfalls. Ich sitze schließlich auch für die Grünen in einem Kommunalparlament. Trotzdem ist es bei einem 124 ha großen Gebiet, ein Fehler den Flächenverbrauch nicht einmal zu erwähnen. Hier besteht im ganzen politischen Raum noch viel Aufklärungsarbeit. Leider auch bei einigen Grünen.

Viel Spaß beim Lesen.

Hier die Position der BI „Nein zu Oberbillwerder“

Portrait des Gebiets

Die Billwerder Landschaft ist ein lang gezogenes Gebiet, welches im Norden durch einen Geesthang, der das Elbtal abschließt und nach Süden durch einen Bahndamm abgegrenzt wird. Da beide Grenzen bewaldet sind,ist Billwerder eine grüne Oase, in der man von der Stadt kaum etwas wahrnimmt. In der Mitte dieser Landschaft schlängelt sich der Fluß Bille begleitet vom historischen Dorf Billwerder mit seinen vielen Bau- und Bodendenkmälern. Zwischen Bille und Bahndamm liegt eine historische Kulturlandschaft, die seit über 800 Jahren eingedeicht ist und über seine charakteristischen Gräben entwässert wird. Die Fläche wird bis heute landwirtschaftlich genutzt. Nördlich der Bille liegt das Naturschutzgebiet Boberger Niederung mit seinen Binnenlanddünen, Marsch-und Moorlandschaften.

Welchen Schaden befürchten Sie ?

Die Kulturlandschaft in Oberbillwerder wird durch den Eingriff unwiderruflich zerstört, die Landschaft durch bis zu 10-geschossige Hochhäuser nachhaltig verschandelt, die Boberger Niederung mit ihren empfindlichen Ökosystemen wird zu einer Art Stadtpark und einem Naturschutzgebiet nicht mehr gerecht. Die betroffene Kulturlandschaft wird aktuell von vielen Bodenbrütern genutzt, so gibt es eine maximale Dichte an Brutpaaren von Feldlerchen im betroffenen Gebiet – diesen Tieren wird der Lebensraum entzogen, anderen Tieren die in der Boberger Niederung leben wird die Fläche zur Nahrungssuche fehlen.

Wie weit ist der derzeitige Prozessstand?

Das Masterplanverfahren ist abgeschlossen, derzeit wird an einem Bebauungsplan gearbeitet. Dieser Plan wird voraussichtlich 2021 offen gelegt, an diesem Punkt erwarten wir viele Einwände gegen den Plan. Die Bearbeitung der Einwände wird noch einmal mindestens ein weiteres Jahr dauern. Danach wird das Gelände über mehrere Jahre aufgehöht, so dass mit einem Bau Mitte der 20er Jahre begonnen werden kann. Wir Erwarten, dass die Bautätigkeit über eine Zeitraum von 20 Jahren bis Mitte der 40er Jahre anhalten wird.

Welches Fazit ziehen Sie ?

Grundlage für diese Planungen ist ein Beschluss des Hamburger Senates, der hinter verschlossenen Türen zustande kam. Danach kam es zu einem Masterplanverfahren mit intensiver Bürgerbeteiligung, bei dem die Bürger allerdings nur noch über das „wie“, aber nicht über das „ob“ mitreden durften. Alle relevanten Plandaten wie der Flächenverbrauch oder die Zahl der Wohnungen sind vom rot-grünen Senat vorgegeben und konnten im Beteiligungsverfahren nicht in Frage gestellt werden. Das Verfahren wird zu einer Propaganda Veranstaltung für den neuen Stadtteil. Weder das Zustandekommen des Beschlusses des Senates noch die anschließende Bürgerbeteiligung ermöglichen einen demokratischen Diskurs über das Projekt als ganzes. Der gesamte Prozess wird zum Lehrstück für den Weg in die Postdemokratie.

Kontaktmöglichkeit zur BI

Dorfgemeinschaft Billwärder an der Bille e.V.

Billwerder Billdeich 254

21033 Hamburg

kontakt@billwerder-dorfgemeinschaft.de

Der Grüne Loop, Teil der Stadtteilplanung für Oberbillwerder (Foto: IBA-Hamburg)

Hier die Stellungnahme der HH-Bergedorfer Grünen, Patrick Kühl und Norbert Fleige der parteiinternen AG Oberbillwerder

Zur Einordnung der Bürgerinitiative vorab:

Die BI wirbt damit, das „Paradies Billwerder“ erhalten zu wollen. Sie nutzt hierbei zum Beleg, es handele sich um eine ökologisch wertvolle Fläche, Bilder, die großteils vom Billwerder Billdeich und vom Mittleren Landweg aus aufgenommen wurden und eine unberührte Landschaft zeigen. Dies suggeriert, dass diese Flächen bebaut werden sollten, was nicht der Fall ist. Ebenfalls betreiben sie großen Aufwand, um die örtlich vorhandene Tierwelt zu fotografieren und leiten daraus den Auftrag ab, einen Bau Oberbillwerders insgesamt zu verhindern.

Beschreibung des Gebiets:

Wie aus den öffentlich verfügbaren Unterlagen ersichtlich ist, erstreckt sich das geplante Baugebiet zum ganz überwiegenden Teil auf einen pestizidbelasteten und seit Jahrzehnten intensiv landwirtschaftlich genutzten Acker, der mit der oben beschriebenen wertvollen Vegetation nahe des Billwerder Billdeichs, zu dem die Bebauung einen, wie es in den Planungen immer wieder betont wurde, „respektvollen“ Abstand einhält. Administrativ handelt es sich bei Oberbillwerder gegenwärtig um den südlichen Rand des Stadtteils Billwerder, der aber infolge starker Erosion (vgl. geologische Gutachten) eine geringe ökologische Wertigkeit besitzt (vgl. Biotopkartierung der grün geführten Umweltbehörde). Die Beeinträchtigung für Billwerder wird insofern unseres Erachtens rein optischer Natur sein, soweit Mensch sich durch die Bebauung gestört fühlt. Hier sehen wir auch das zentrale Anliegen der Bürgerinitiative, wir teilen es in Anbetracht der Notwendigkeit des Wohnungsbaus nicht.

Das Gebiet ist deswegen gut geignet für den neuen Stadtteil, der aufgrund des Zuzugs vieler Menschen erforderlich ist, weil es direkt an der S-Bahn-Haltestelle Allermöhe liegt und insofern verkehrlich bestens erschlossen ist.

Schaden:

Wir sehen in der Bebauung dieser Fläche eine Aufwertung. Zehngeschossige Bebauung ist kein Thema, es geht im Wesentlichen um maximal sechs Stockwerke, nur im zentralen Bahn-Quartier darf punktuell höher gebaut werden, jedoch keine zehn Stockerweke hoch, insofern ist die durch die BI getätigte Äußerung irreführend. Die für Bergedorfer Verhältnisse dennoch relativ verdichtete Bauweise soll sicherstellen, dass nicht in die Fläche gebaut wird – lieber hoch als breit, in der Tat hätten wir uns gewünscht, dass auch höher geplant worden wäre, wie es einige Entwürfe vorsehen, um weniger Fläche zu verbrauchen. Wir müssen begreifen, dass dichte Bebauung nicht automatisch den Stand der 60er-Jahre wiederspiegelt, wie es die BI behauptet.

Die Boberger Niederung als schützenswertes Naturschutzgebiet ist mangels direkter Verbindungen nicht mehr in Gefahr als ohnehin schon, denn schon jetzt pilgern infolge der Corona-Krise zahlreiche Gruppen in die Boberger Niederung, die als schattiger Ort mit vielen Wanderwegen zum Aufenthalt einlädt.

In der Tat ist der besagte Acker aber ein Nistgebiet für Feldlerche und Wachtelkönig, jeweils bedrohte Vogelarten. Es gibt ein veröffentlichtes Konzept für umfangreiche Ausgleichsmaßnahmen, das die BI wie üblich ignoriert und das eine Umsiedlung der Tiere und eine ökologisch erhebliche Aufwertung des benachbarten Unterbillwerders und des Gebiets an der Bille vorsieht.

Planungsstand:

Hier stimmen wir grundsätzlich mit der Darstellung der BI überein – mit einer Ausnahme: Wir gehen davon aus, dass die Babauung bereits in den 2030er-Jahren im Wesentlichen abgeschlossen sein wird, siehe Annahmen der (staatlichen) IBA GmbH, die mit der Planung beauftragt ist. Dies wird natürlich nicht eintreten, wenn es der BI gelingen sollte, die Bebauung hinauszuzögern, die Konsequenz wären dann steigende Mieten in ganz Hamburg infolge von Wohnungsknappheit. Insofern würden wir begrüßen, wenn der seitens der IBA (der Projektentwicklerin) vorgesehene Zeitplan umgesetzt werden könnte. Dort soll ein klimaneutraler, autoarmer Stadtteil mit viel Grün- und Wasserflächen entstehen. Genauere Infos hier

Fazit:

Es ist bedauerlich, dass die BI sich der Faktenlage fortwährend widersetzt: Hamburg möchte diesen neuen Stadtteil ganz überwiegend, und die „bedrohte“ Fläche ist nicht als ökologisch wertvoll anzusehen, und darüber gibt es Gutachten. Soweit Tiere betroffen sind, wird dem Rechnung getragen. Die durch die Behörden ermittelten Werte werden ohne nähere Begründung als nicht wahrheitsgemäß angesehen. Es ist traurig, dass das Argumentieren mit Fakten nicht mehr verfängt. Solange wir bzw. die rot-grüne Regierung nicht exakt das tun, was die BI fordert, wirft sie uns bzw. der SPD Demokratiefeindlichkeit vor, ohne diese Behauptung substantiieren zu können.

Wir leben in einer repräsentativen Demokratie. Bürgerbeteiligung heißt in einer repräsentativen Demokratie nicht, dass die Bürger*innen entscheiden dürfen, sondern sie dürfen an dem von den gewählten Abgeordneten initiierten Prozess teilnehmen und konkrete Äußerungen tätigen. Das ist schon viel mehr als in vergangenen Jahrzehnten und wir wünschen uns eine Intensivierung des Dialogs – dass die Menschen, die bei einem solchen Termin anwesend sind, jedoch nicht abstimmen können, hat mit der Demokratie an sich oder deren vermeintlicher Gefährung nichts zu tun. Der Vorwurf,  die gewählten Politiker*innen seien insgesamt nicht vertrauenswürdig und die gesamte Demokratie sei Makulatur, lässt sich schwer ernst nehmen.

Erst in diesem Jahr gab es eine Bürgerschaftswahl, aus der insbesondere die Grünen deutlich gestärkt hervorgegangen sind, und das auch im Bezirk Bergedorf. Insofern ist die Empörung wohl als überwiegend fiktiv anzusehen. Neben der BI gibt es in Hamburg auch eine Vielzahl an Menschen, die einem solchen Wohnungsbauprojekt sehr wohlwollend gegenüberstehen.

Durch Äußerungen der BI haben sich übrigens von der ersten Planungsphase aus durchaus Änderungen ergeben, zum Beispiel wurden alle Entwürfe, die hohe Gebäude vorsahen, abgelehnt, und es haben sich die Planungsentwürfe durchgesetzt, die eine Bebauung mit großem Abstand zum Billwerder Billdeich vorsehen. Insofern kann die BI die bisherigen Veränderungen durchaus als Erfolg verbuchen – es hindert sie daran nur die Hybris, weiterhin Oberbillwerder komplett verhindern zu wollen.

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