„Zurück zur Natur“ war DAS Buch der ostdeutschen Umweltbewegung. Geschrieben 1986 von Dr. Ernst-Paul Dörfler unter widrigen Umständen. Der Ökochemiker schrieb in der DDR, in der es Umweltverschmutzung offiziell nicht gab. Heute schreibt Ernst -Paul Dörfler immer noch Bücher. Er beschäftigt sich mit Ursachen für den selbstzerstörerischen Umgang von Menschen mit der Natur und erarbeitet Lösungen, um das Zusammenleben von Mensch und Natur besser für beide zu gestalten. In seinem aktuellen Buch „Aufs Land“ geht es um den Konflikt zwischen Stadt- und Landleben, Konsum und der Entfremdung zwischen Mensch und Natur. Ein Kapitel darin lautet: Muttererde. Als Gastbeitrag bereichert es den Lumbricus-Blog und wir freuen uns sehr über seine prominente Unterstützung.
Muttererde
„Wir treten ihn mit Füßen und machen ihn mit Maschinen platt, unseren Boden. Wir baggern ihn weg und überbauen ihn mit Beton und Asphalt, als wäre er ein totes Etwas. Er wird verdichtet und somit leblos und wertlos als Lebensraum und als Wasserspeicher.“
Boden ist ein knappes Gut, er ist nicht vermehrbar und er verspricht Rendite. Investoren stürzen sich wie Heuschrecken auf das Land und kaufen es auf, wo auch immer sie Zugriff bekommen.
Der Boden ist sehr viel mehr als eine Geldanlage, er ist ein Multitalent mit eigenen Werten und Fähigkeiten. Seine obere Schicht wird nicht ohne Grund als Mutterboden bezeichnet. Er es ist, der uns nährt – ebenso wie eine Mutter ihr Kind nährt! Muttererde ist ein kostbares Gut, denn es braucht über einhundert Jahre, ehe sich eine Schicht von einem Zentimeter Dicke durch natürliche Prozesse bildet. Der Mutterboden ist Träger der Fruchtbarkeit unseres Planeten und gleichzeitig Ort der Biologischen Vielfalt. Er wirkt als Filter und als Speicher zugleich. Er filtert Wasser und speichert Kohlenstoff als Humus. Es ist kaum bekannt: Der Boden ist nach den Ozeanen der größte Kohlenstoffspeicher der Erde und damit ein bedeutender Klimaschützer. Er kann unserer Atmosphäre Kohlendioxid entziehen und damit unser Klima verbessern. Dazu müssen wir ihn gut behandeln, ihn weder überbauen noch versiegeln .
Der Boden ist ein lebendiges, sehr komplexes und noch wenig erforschtes Ökosystem, es ist das wohl unbekannteste und das geheimnisvollste. Während man in der Tiefsee zumindest Filmaufnahmen machen kann, ist dies im Ökosystem Boden schlecht möglich. In einer Handvoll Muttererde leben mehr Organismen als Menschen auf der Erde. Die meisten Arten davon sind noch unbekannt. Wir kennen meist nur einige wenige Bewohner dieser dunklen Unterwelt. Die bekanntesten sind der Maulwurf und der Regenwurm. Tausende kommen hinzu, darunter befinden sich die Asseln, die das alte Laub zerkleinern. Eine unbekannte Anzahl von Pilzen und Bakterien besiedeln zudem den Boden und sorgen mit ihrem Stoffwechsel für Nährstoffe und für die Bodenwärme.
Für die Landwirtschaft ist der Boden die wichtigste Produktionsgrundlage, die Grundlage der Felder und Wiesen im wahrsten Sinne des Wortes. Die obere Schicht des Bodens macht seine Fruchtbarkeit aus. Ein Maß für die Fruchtbarkeit ist der Humusgehalt. Humus färbt den Boden dunkel, er besteht aus kohlenstoffhaltiger organischer Substanz, aus Pflanzenresten. Je mehr Humus im Boden, umso wertvoller ist er – sowohl für die Landwirtschaft als auch für den Klimaschutz.
Im Durchschnitt liegen die Humuswerte der Böden in Deutschland bei zwei Prozent.
Die intensive Landwirtschaft der letzten Jahrzehnte verfolgte in erster Linie das Ziel, die Erträge zu steigern und immer billiger zu produzieren. Der Preis: Am Humus wurde Raubbau betrieben. Der Humusgehalt der Böden hat sich in Deutschland etwa halbiert, vor allem durch den Anbau humuszehrender Pflanzen, wie Mais und Zuckerrüben. Friedensreich Hundertwasser, der Wiener Maler, Architekt und Umweltschützer, sagte einmal: „Alle großen menschlichen Kulturen waren zu Ende, als der Humus zu Ende war.“
Nun geht es darum, den Trend umzukehren. Förderlich sind humusmehrende Pflanzen, vor allem Schmetterlingsblütler wie Klee, Luzerne und Lupine. Mit zunehmendem Humusgehalt des Bodens wächst die Speicherfähigkeit des Bodens für Wasser und Nährstoffe und damit auch die Widerstandskraft gegenüber Stresssituationen, wie Dürre. Um die Bodenfruchtbarkeit und das Bodenleben zu erhalten, müssen wir den Boden mit organischer Substanz, also mit Mist, Kompost und Pflanzenrückständen „füttern“. Auch die zeitweilige Brache, das Nichtnutzen der Fläche also, sorgt für Humusnachschub. So wie man auf Kosten des Humusvorrates jahrzehntelang ackern kann, dauert es allerdings auch Jahrzehnte, bis das Humusdefizit wieder ausgeglichen ist. Auch für den Klimaschutz lohnt sich der Humusaufbau. Mit jedem Prozent mehr Humus werden nach Angaben von Prof. Axel Don vom Thünen-Institut 25 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre eingefangen und im Boden gespeichert.
Besonders humusreich ist Dauergrünland, vor allem nasse Wiesen und Weiden. Sie sind für den Storch und viele andere Vögel lebenswichtig, gerade für die selten gewordenen Watvögel. Sie stochern mit ihren langen Schnäbeln im feuchten Boden oder im Flachwasser nach Würmern, Schnecken oder Insekten. Nasse Wiesen sind aber zur Rarität geworden, sie wurden durch tiefe Gräben zu stark entwässert. Es gibt viele gute Gründe, diese Fehlentwicklungen zu korrigieren. Sowohl der Klimaschutz als auch der Artenschutz verlangen nach einer Rückgewinnung von Nass- und Feuchtwiesen durch Wasserrückhalt. Wirksamer Klimaschutz im ländlichen Raum hat also viele Gewinner. Er funktioniert aber nur, wenn die Humusgehalte im Boden wachsen statt zu schrumpfen.
Was kann jeder Einzelne dazu beitragen, den Humusaufbau zu fördern und den Boden zu schützen? Alle organischen Abfälle in Haus und Garten sind begehrtes Futter für Bodenlebewesen. Sie sollten keinesfalls verbrannt oder zu Müll erklärt, sondern über eine Kompostierung wieder in den Stoffkreislauf eingeschleust werden. Am einfachsten geht es im eigenen Garten ohne lange Transportwege. Auch als Konsument kann man das Naturgut Boden schützen, zum Beispiel durch die Bevorzugung von Produkten aus biologischem Anbau. Biobetriebe arbeiten nach den strengen Regeln des Stoffkreislaufes und sorgen für lebendige, humusreiche Böden. Was uns kaum bewusst ist: Auch mit dem Umstieg vom Auto aufs Fahrrad oder auf öffentliche Verkehrsmittel reduzieren wir unsere Platz- und Bodenansprüche. Deutschland plant immer noch den Bau von über 800 Kilometern neuer Autobahnen, verbunden mit einem weiteren Verlust von fruchtbarem Boden und einem Zerschneiden von Lebensräumen zum Schaden der Tierwelt. Wir können dazu beitragen, diese unzeitgemäßen Bauprojekte überflüssig zu machen, durch eigenes Verhalten genauso wie durch bürgerschaftliches Engagement für die Bewahrung unserer wichtigsten Lebensgrundlage – der Mutter Erde.
Ernst Paul Dörfler